„Weltenwanderer“ – Reinhard Mawick in der ZEITZEICHEN vom Juni 2015

Weltenwanderer

Neues von Steinmetz & Stickan

Das Haus der Kirchenmusik hat viele Wohnungen, und auf kaum einem kirchlichen Feld macht sich Pluralismus so bemerkbar, wie auf diesem. Was für eine segensreiche Entwicklung!

Es sei denn, man interpretiert jede Neuerung als Verfall. Doch der Kampf zwischen neugierigen Neuerern und strengen Lordsiegelbewahrern, der in den Jahrzehnten nach 1960 die Szene beherrschte, ist gottlob vorbei (vergleiche dazu Christian Fischer in Zeitzeichen 3/2015). Vielmehr strebt die Entwicklung der sakralen Musik auf neue Ebenen – neuer Geist klingt. Zum Beispiel im Gemeinschaftswerk von Uwe Steinmetz und Daniel Stickan. Das Werk der beiden gehört zum Spannendsten und zum Spannungsvollsten, was es zurzeit in der neuen evangelischen Kirchenmusikszene gibt.

Die beiden Komponisten und Instrumentalisten (Steinmetz – Saxophon; Stickan – Orgel) haben eine „Freiheitskantate“ für den Reformator Martin Luther geschrieben. Eine Freiheitskantate für….nicht von?! Doch, doch, sämtliche Texte des Werkes stammen von Martin Luther. Es begegnen seine Choräle, zum Beispiel das Lehrlied „Nun freut Euch, lieben Christen G’mein“ oder das einstmals von Luther „wider die zween Ertzfeinde Christi und seiner heiligen Kirchen“, nämlich „den Babst und Türcken“ gedichtete „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort“ und viele weitere.

Und es begegnen vertonte und rezitierte Passagen aus dem berühmten Traktat von der „Freiheit eines Christenmenschen“. Das „für“ im Kantatentitel ist also einerseits eine Ehrung des großen Luthers. Andererseits befreit die musikalische Umsetzung seine Texte auch aus zu starrer Lesart vergangener Zeit. Insofern steht das „für“ auch dafür ein, dass Luther seine neuen Klangkleider nötig hat. Die Mittel dazu sind vielfältig: Inspiriert haben „St&St“ bei der Komposition neben Techniken der Alten Musik und der eigenen Klangsprache, „polyrhythmische Überlagerungen von Pygmäenmusik, Messiaen’sche Modi, (…), zeitgenössische Musik von Arvo Pärt und Steve Reich“, wie sie im Begleitheft schreiben.

Versammelt hatten sie um sich bei der Uraufführung im November 2014 in der Hamburger Hauptkirche St. Katharinen, von der diese CD Zeugnis ablegt, das Hugo-Distler-Ensemble Lüneburg, die Hamburger Kinder- und Jugendkantorei und die fantastische Sängerin Efrat Alony, deren fesselnde Kunst vielem die Krone aufsetzt!

Diese Freiheitskantate von und für Luther wandert zwischen den (Musik-)Welten, lässt sie gleichzeitig erklingen und schafft so etwas Neues, Geistreiches. Das ist anstrengend, atemberaubend und unbedingt hörenswert.