„Das Viel des Hierseins“ – Kritik von Ute König zur Aufführung in Wittenberg (Juni 2013)

Wittenberger Festivals „Himmel auf Erden“
Jazz aus dem verlorenen Paradies

von Ute Koenig

Bei der wohl letzten Ausgabe des Wittenberger Festivals „Himmel auf Erden“ konnten die Veranstalter am 28. Juni 2013 noch einmal mit einem Schmankerl aufwarten: der Uraufführung des Werks „Das Viel des Hierseins“ von Uwe Steinmetz. Mit eindrucksvollen Jazz-Klängen brachte das Ensemble „Waves“ dabei Himmel und Erde in die Stadtkirche.

Himmlische Stimme

Die beeindruckendsten Töne erklangen im „Himmel“ der Stadtkirche, auf der Empore. Von Daniel Stickan an der Orgel, vor allem aber von Efrat Alony. Einerseits als Rezitativ mit einer angenehm ruhigen und dunklen Stimme und andererseits als Gesang mit einer imposant vollen, facettenreichen Alt-Stimme, gab sie Auszüge aus John Miltons „Paradise Lost“ („Das verlorene Paradies“) wieder, die die Grundlage des ganzen Werkes bildeten. Die Lautsprecherverstärkung hätte die in Israel geborene Sängerin daher eigentlich nicht gebraucht. Die Technik war viel mehr auch bewusster Teil der Inszenierung. Durch die Mischung aus der natürlichen Akustik von der Empore und dem Klang aus den Lautsprechern, mit dem die Zuhörer frontal beschallt wurden, wirkte Alonys Part wie eine Stimme, die über allem schwebt, ohne konkrete Verortung im Kirchenraum.

Fest verankert dagegen war das Instrumentalensemble im vorderen Teil der Stadtkirche. Arne Jansen (Gitarre), Johannes Lauer (Posaune), Laura Robles (Percussion) und Uwe Steinmetz selbst am Saxophon zeigten sich dort als bestens eingespieltes Team. Die Jazz-Improvisationen passten zusammen und selbst mit geschlossenen Augen nahmen sich die Musiker gegenseitig die Solo-Parts ab. Aber schon die komponierten Grundlagen waren auf das Ensemble zugeschnitten. Nach vielen Jahren gemeinsamen Musizierens hat Uwe Steinmetz diese seinen Kollegen, auf die Finger und Lippen geschrieben. Alles zusammen war neu, erinnerte aber doch auch an Miles Davis oder Duke Ellington, die Steinmetz vorab ganz offen als Vorbilder für seine Kirchenmusik nannte. Zwischen „Himmel und Erde“ stand dann der Schauspieler Frank Roder auf der Kanzel und rezitierte. Sein Text waren Auszüge aus den Duineser Elegien von Rainer Maria Rilke, die sich vereinfacht gesagt mit den positiven und negativen Seiten der menschlichen Existenz beschäftigen. Dank Roder wurden die Elegien zumindest im Vortrag jedoch zu keinen Klagegedichten. Auf einen leidenden Unterton verzichtete er. An eine Predigt erinnerte das Ganze vielleicht nur wegen der Kanzel, auf jeden Fall aber brachte Roder die Zuhörer zum Zuhören, obwohl diese Verse von Rilke nicht unbedingt zum einfachsten Stoff gehören.

Die Texte Miltons und Rilkes folgten zum Teil im Wechsel aufeinander, gingen nahtlos ineinander über und wurden in einem Fall auch ineinander verwoben. Gerade in solchen Momenten zeigt sich das perfekte Timing aller Mitwirkenden. Mit ständigem Blickkontakt überbrückten die Musiker und der Schauspieler die Distanzen zwischen Empore, Kanzel und Altarraum und brachten die unterschiedlichen Puzzleteile so zu einem stimmigen Gesamtwerk zusammen.

Unten vereint

Und zum „Postludium“, dem letzten Stück, wurde dieses Miteinander auch optisch deutlich. Sängerin und Organist stiegen von der Empore herab und gesellten sich zum Jazz-Ensemble auf der Bühne – sicherlich kein Zufall bei einem Festival mit dem Titel „Himmel auf Erden“ – und ernteten zum Abschied gemeinsam den Applaus des Publikums.

Text: Ute König