„Auf blauen Tönen himmelwärts“ von Stephan Kosch; Zeitzeichen; Ausgabe März 2014
Auf blauen Tönen himmelwärts
Die Veranstaltungsreihe „In Spirit“ sucht nach Verbindungen zwischen Theologie und Jazz
Jazz als religiöse Musik hat Tradition, gerade bei den schwarzen US-Stars der Szene. Doch auch hierzulande sehen Jazz-Musiker ihre Stücke als Ausdruck von Glauben und Spiritualität. Ihnen widmet sich die Veranstaltungsreihe „In Spirit“, die während des ganzen Jahres in vierzehn Städten zum „Jazz in der Kirche“ einlädt.
Das blaue Licht strahlt wie immer in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Berlin. Die Glasfenster des französischen Künstlers Gabriel Loire sind eines der unverkennbaren Merkmale der Kirche auf dem Breitscheidplatz direkt am Bahnhof Zoo. Doch an diesem Abend kommen noch zahlreiche Blue Notes hinzu. Die Saxophonistin Birgitta Flick spielt mit ihrer Band. Die Musiker interpretieren traditionelle Kirchenlieder neu: „Gelobt sei Gott im höchsten Thron“ beginnt zu swingen. Dieter Trautweins „Weil Gott in tiefster Nacht erschienen“, ein Klassiker des modernen geistlichen Liedes, klingt hier nicht – wie leider so oft – nach schunkelnder Gemütlichkeit, sondern treibt mit energiereichem Rhythmus voran. Dazu noch eine Improvisation über den Psalm 72, dem Lob des gerechten Königs. Gebrochene Fanfaren, Dissonanzen, flirrende Klänge – die Welt, die einen solchen Herrscher braucht, ist schließlich keine, in der alles reibungslos läuft.
Doch die etwa 150 Besucher lauschen keinem Jazz-Konzert, sondern feiern einen Gottesdienst, in dem die Musik nur ein Element ist neben Predigt, Liturgie und Gebeten. „Psalmton“ heißt die Reihe, mit der die Kirchengemeinde seit drei Jahren einmal im Monat zum JazzPop-Gottesdienst am Sonntagabend einlädt und damit auf Resonanz trifft. Rund hundert Besucher, manchmal auch deutlich mehr, kommen in die Gottesdienste mit niederschwelliger Liturgie, aber durchaus anspruchsvoller Predigt. Viele von ihnen zählten nicht zu den klassischen Kirchgängern, sagt Cornelia Kulawik, Pfarrerin der Gemeinde.
Beim Jazz in der Kirche geht es aber nicht nur um eine andere Verpackung für Gottesdienste, in der Musik selbst steckt ein großes religiöses oder spirituelles Potenzial. Denn einerseits gehören Spirituals und Gospel-Musik zu den Wurzeln des Jazz, zahlreiche Musiker aus den USA wurden in Kirchengemeinden sozialisiert. Sehr gut zu hören ist dies zum Beispiel in Duke Ellingtons „Come Sunday“ von 1943, das er unter anderem gemeinsam mit Gesangs-Ikone Mahalia Jackson aufführte. Einerseits ein Stück, das zu den Jazz-Standards gehört, andererseits ein Spiritual, dessen Text von einem Glauben an einen liebenden Gott zeugt und mittlerweile in vielen Gemeinden gesungen wird. „God of love, please look down and see my people through. I believe God is now, was then and always will be.“
„A love Supreme“
Doch es braucht nicht immer einen Text, um religiöse Bezüge im Jazz zu finden. Ein Titel reicht, um die Spur aufzunehmen, wie in „A Love Supreme“, dem wohl bekanntesten Werk des Saxophonisten John Coltrane aus dem Jahr 1961. Die Suite in vier Teilen wollte Coltrane als Lobpreis Gottes verstanden wissen, bei dem die Musik für sich selber spricht. Dennoch schrieb er einen Begleittext zum Album, in dem er auch seine „Wiedergeburt“ nach einem Drogenentzug einige Jahre zuvor thematisiert. Zudem verfasste er ein Gebet, dass sich nach Meinung mancher Experten in der Phrasierung seines Saxophonspiels wiederfindet. Und Dave Brubeck, dessen Quartett der Musikwelt das berühmte „Take Five“ schenkte, wurde 1980, im Zuge der Komposition einer Messe, im Alter von sechzig Jahren Katholik.
Die Spiritualität bekannter Jazz-Musiker speist sich jedoch nicht nur aus traditionell christlichen Überlieferungen. Schon John Coltrane war auch von östlichen Religionen inspiriert, der Pianist Keith Jarrett, dessen Mitschnitt des Kölner Konzerts von 1975 bis heute die meistverkaufte Jazz-Solo-Platte ist, ist geprägt von dem Werk des Esoterikers Georges Gurdjieff.
Jenseits unterschiedlicher religiöser Inhalte, verbindet das Werk dieser Musiker aber die große Bedeutung der Improvisation, von der der Jazz insgesamt lebt: Spontane, nicht in Noten gefasste Sequenzen, die jedesmal anders klingen. In diesen kommt es nicht nur auf die Kunst des Einzelnen an, sondern gerade auch auf die Achtsamkeit aller beteiligten Musiker, damit immer wieder alle zusammenfinden und das Stück ein Stück bleibt und nicht zerfließt. „Jazz schafft Freiraum, gerade durch die Improvisationen“, sagt Cornelia Kulawik, die selber Jazz-Geigerin ist. Doch gleichzeitig gehe es auch um Wiederholungen und Rhythmus, um das Miteinander und die gemeinsame Fortentwicklung. In solchen Fragen berühren sich Glaube und Musik, sagt Kulawik.
Ein Sog irgendwohin
Birgitta Flick, die an dem gemeinsam von der Universität der Künste und der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ gegründeten Jazz-Institut Berlin studierte und regelmäßig „Psalmton“-Gottesdienste mitgestaltet, beschreibt es so: „Man ist immer im Moment, immer in Kontakt, vertraut aufeinander und ist gemeinsam auf der Suche.“ Sie spiele nicht, damit jemand es schön findet oder nicht. „Es soll etwas entstehen, und wenn das passiert, dann ist das ein Geschenk.“
Knapp 300 Kilometer entfernt von der Berliner Gedächtnis-Kirche lebt Daniel Stickan. Doch wenn er auf das Thema Spiritualität und Jazz angesprochen wird, ist er ganz nah bei den Berliner Musikern. Auch er verweist auf „das Besondere im Moment“, die „Balance zwischen Freiheit und Regeln“, und das Gefühl, dass die spontanen Ideen beim improvisieren „woanders herkommen.“ Dieser bewusst geschaffene Freiraum sei auch ein entscheidender Unterschied zur klassischen Musik, mit der sich Stickan auch gut auskennt. Schließlich hat er künstlerisches Orgelspiel an der Hamburger Musikhochschule studiert, komponierte Neubearbeitungen von Opern von Gluck und Händel, veröffentlichte Bachs Goldberg-Variationen auf CD. Sein Instrument ist die Kirchenorgel, die immer wieder – so man diesen Unterschied machen will – zur Jazz-Orgel wird, wenn er mit dem Saxophonisten Uwe Steinmetz gemeinsam Musik macht. „Waves“ heißt das gemeinsame Projekt, das keinen gefälligen Hintergrundsound liefert. Man muss zuhören und sich einlassen auf manchmal sehr leise, manchmal schräge Töne. Wer das aber tut, spürt immer wieder den Sog irgendwohin, weil sich ein Fenster zu einer anderen Welt öffnet, wie es bei gelungener Kunst immer wieder geschieht.
Berührungsängste bei Kirchenmusikern
Nicht immer stoßen Stickan und Steinmetz auf offene Ohren und Türen, gerade traditionellere Kirchenmusiker begegnen ihnen häufig mit Skepsis, überlassen ihnen manchmal die Orgel nur mit großem Widerstand. Die Theologen hingegen seien in der Regel offener und das – eher kirchenferne – Publikum sowieso, weil es weiß, dass es sich an solchen Abenden auf neue Formen einlassen muss. Damit die Berührungsängste aber auch im klassischen kirchlichen Milieu geringer werden, haben Steinmetz und Stickan nicht nur das Musiklabel „ejk – Edition Jazz aus Kirchen“ gegründet, sondern auch eine Veranstaltungsreihe unter dem Titel „In Spirit“ ins Leben gerufen, die bewusst Theologie und Jazz miteinander in Beziehung bringen will. Diese nahm Ihren Anfang 2009 in Berlin mit einigen sommerlichen Abendveranstaltungen und wuchs in den vergangenen Jahren.
Im laufenden Jahr zeichnet sich aber ein weiterer Entwicklungsschritt ab, erstmals sind bundesweit über sechzig Termine in vierzehn Städten geplant, wobei die beteiligten Musiker und kirchlichen Einrichtungen miteinander vernetzt werden. Zum Teil docken die Veranstaltungen an Jazz-Festivals wie in Göttingen oder Brilon an, andere Veranstaltungen wählen aber auch ganz bewusst originär kirchliche Bezüge, wie zum Beispiel den 80. Jahrestag der Barmer Theologischen Erklärung oder den Reformationstag. An diesem werden Stickan und Steinmetz gemeinsam mit Chören eine Reformationskantate aufführen. Doch auch Jahrestage der Zeitgeschichte, wie der Beginn des ersten Weltkrieges vor einem Jahrhundert oder der Mauerfall vor 25 Jahren sind Anlässe, zu denen Jazz in Kirchen erklingen wird. Die gesamte Veranstaltungsreihe, die auch Literatur- und in diesem Jahr auch die erwähnten Psalmton-Gottesdienste umfasst, wird mit rund 40.000 Euro gefördert vom Kulturbüro der Evangelischen Kirche in Deutschland, hinzu kommen weitere kleinere Spenden.